Autofreie Sonntage kennen die unter 50-Jährigen nur vom Hörensagen, oder sie wurden als Säugling in einem Kinderwagen über die leeren Autobahnen gestossen. Im Jahre 1973 ordnete der Bundesrat aufgrund des Treibstoff-Engpasses drei autofreie Sonntage an, weil in Folge des Jom-Kippur-Kriegs die arabischen Staaten ein Ölembargo verhängten. Das behördliche Verbot führte aber nicht zu Massenprotesten – wie heute, sondern artete regelrecht in einem Volksfest aus. Alles was fahren konnte, und keinen Motor hatte, wurde an diesen Sonntagen auf die leeren Strassen geschleppt: Kinderwagen, Trottinette, Velos, Rollschuhe. Vierspurige Autobahnen verkamen zu regelrechten Rummelplätzen.
Im Zuge der Ukraine-Krise kommen nun autofreie Sonntage wieder aufs Tapet. Die Rede ist von ein bis vier autofreien Sonntagen pro Jahr. Zudem führen einzelne Gemeinden, im Rahmen der Kampagne zur Förderung der Mobilitätswende, am 22. September einen autofreien Aktionstag durch. Dabei werden aber nur einzelne Strassenzüge für den motorisierten Verkehr gesperrt.
Doch das ist alles Mumpitz. Wenn man eine Wirkung erzielen will, müssen es schon mindestens zwölf autofreie Sonntage sein. Aber nicht um die heutige Spassgesellschaft zu bedienen, damit diese wieder Happenings auf den leeren Strassen veranstalten kann, nein schlicht und einfach für den Erhalt der einheimischen Strassenbaustellen. Früher konnte man auf Autobahnen noch mehrere Tage hintereinander kilometerlange Spurreduktionen vom Feinsten durchführen. Früher, also in den 70iger Jahren, konnte man sogar tagsüber ganze Spuren sperren – oder zur Not auch mal die ganze Fahrbahn. Ja, früher, da machte das Bauen auf der Strasse noch Freude. Heute werden die Bauarbeiter von den
Autofahrern mit Schimpfwörtern und PET-Flaschen beschmissen. Heute kann man bestenfalls die Autobahn tief in der Nacht sperren, und selbst das führt noch zu Staus. Das ASTRA unternimmt deshalb immense Anstrengungen, um den Verkehr durch die Baustellen nicht zu beeinträchtigen. So werden Spursperrungen für Bau- und Unterhaltsarbeiten nur noch in der Nacht durchgeführt. In diesem Jahr hat das Amt sogar eine befahrbare Brücke in Betrieb genommen, die es ermöglicht, darunter tagsüber Belagssanierungen durchzuführen. Der Verkehr läuft währenddessen über diese Brücke.
Doch irgendwann ist man mit den Möglichkeiten am Ende und es müssen neue Lösungen her, und eine davon heisst eben: zwölf autofreie Sonntage. An diesen Tagen werden dann tausende von Bauarbeitern die Sanierungsarbeiten auf hunderten von Baustellen in der ganzen Schweiz durchführen, ohne den Verkehr zu stören. Im Fachjargon nennt man das Closter-Baustellen.
Wer nun denkt, wow, das ist ja super, dann fällt der obligate monatliche Sonntagsbesuch bei der Schwiegermutter voll ins Wasser bzw. auf einen autofreien Sonntag, hat sich schwer geschnitten. Denn der Besuch muss wohl oder übel am darauffolgenden Sonntag nachgeholt werden, das gibt einem die Schwiegermutter am Telefon unmissverständlich zu verstehen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.