Samstag, 18. Juni 2022

Nachruf auf den Ersatzkanister

 

Obwohl die Zahl für die Inverkehrssetzung von Elektroautos rasant steigt, sind noch viele Autofahrer ob diesem neuen Vehikel skeptisch. Nicht wegen den Kosten oder der nicht ganz unproblematischen Materialzusammensetzung der Batterie. Auch haben die Elektroautos den Mief eines langsam dahin tuckernden Vehikels für Weltverbesserer abgelegt. Es ist langsam sexy, so einen elektrisch angetriebenen Wagen zu haben, insbesondere dann, wenn die Beschleunigung fast einem Formel 1 Schlitten entspricht. Nein, der grosse „Mangel“ dieser dekarbonisierten Autos ist die begrenzte Reichweite. Es treibt dem Benutzer den Schweiss aus der Stirne, wenn er daran denkt, irgendwo im Nowhere mit entladener Batterie zu landen. Vor diesem Schreckensszenario möchte sich der Sicherheit liebende Autofahrer mit aller Gewalt bewahren.
 

Doch denkt man an die Anfänge der Benzinautos zurück, so waren dies auch ungewisse Zeiten. Die erste Fernfahrt von Bertha Benz war mit Strapazen verbunden und nur dank ihres eisernen Willens erfolgreich. Im Jahre 1888 wollte sie beweisen, dass die Autos ihres Mannes gebrauchstauglich sind und fuhr heimlich in den Schulferien mit ihren beiden Söhnen von Mannheim in das 90 Kilometer entfernte Pforzheim. Tankstellen gab es noch keine. Das Benzin musste sie in den Apotheken kaufen. Aus diesem Anlass bezeichnet sich noch heute die Stadt-Apotheke von Wiesloch als erste Tankstelle der Welt.
 

Als das Auto vom Vehikel für die Oberschicht zum Volkswagen mutierte, war das Tankstellennetz noch nicht so dicht und der Spritverbrauch hoch. Besonders zu Ferienzeiten sah man vielfach Autos am Rande der Strasse stehen und die Fahrer liefen ratlos um das Auto oder waren schon zu Fuss unterwegs zur nächsten Tankstelle, um einen gefüllten Ersatzkanister zu kaufen. So führten einige fortan einen Ersatzkanister mit.
 

Die stolzen Besitzer eines Elektroautos mögen ab diesen Geschichten nur schmunzeln. Doch auch sie haben das Problem, dass sich ihre Karre mit einer leeren Batterie keinen Millimeter bewegen lässt. Einige clevere E-Autos haben zwar ein Batteriemanagement-System eingebaut, welches mögliche freie Ladestationen frühzeitig aufzeigt. Aber das hat natürlich seinen Preis. Findige Wohnhausbesitzer mit einer Photovoltaikanlage bieten schon mit Werbeplakaten an der Strasse Steckdosen zum Nachladen an.
 

Doch wie würde so ein elektrischer Ersatzkanister aussehen? Man könnte sich einen fahrbaren Einkaufshandwagen vorstellen. Nur würde der etwa 200kg schwer werden, damit man das liegengebliebene Elektroauto innert nützlicher Frist wieder flottkriegt. Aber wo stehen dann diese Ersatzbatterien? Eine andere Idee wäre eine Ersatzbatterie in der Gestalt eines Anhängers. Aber auch das macht wenig Sinn. Dann gibt es noch weitere unzählige Ideen von Lademöglichkeiten wie Steckdosen an Beleuchtungskandelaber, Parkuhren, Verkehrsampeln und obligatorische Steckdosen in allen Tiefgaragen und bei Firmenparkplätzen.


Doch schlussendlich: wer kein Vertrauen in die Technik hat, fährt lieber Bahn. Dort kommt der Strom dauernd aus einer Fahrleitung – also meistens!